Heimunterbringungen – Wenn das Jugendamt ein Kind retten muss

Posted on August 26, 2009. Filed under: Fachkräfte, Jugendhilfe, Kinderschutz, Nordrhein-Westfalen, Publikationen | Schlagwörter: |

Dortmund. Mitarbeiter in Jugendämtern und ihre Kollegen vor Ort sind ständig im Einsatz: Immer mehr Familien brauchen Unterstützung bei der Erziehungsarbeit, immer mehr Bürger melden sich, die sich Gedanken um vernachlässigte Kinder machen.

Der Anruf kam am Donnerstag, dem heißesten Tag des Jahres. Besorgte Nachbarn meldeten sich beim Jugendamt der Stadt Lünen, weil sie ständig ein Baby schreien hörten. „Es bestand die Sorge bei den Temperaturen, dass da ein Kind dehydriert”, sagt Thomas Stroscher, Leiter der Abteilung Soziale Dienste und ambulante Erziehungshilfe. Zwei Mitarbeiter machten sich sofort auf den Weg, um die Familie ausfindig zu machen. Der Anruf der Nachbarn war berechtigt: Die Mitarbeiter entschieden, dass das Kind ins Krankenhaus musste.

„Aber es sind gar nicht immer die ganz großen und spektakulären Fälle von Gewalt und Vernachlässigung, wenn wir einschreiten müssen”, sagt Fachbereichsleiter Ludger Trepper. „Vieles hat einfach mit Konflikten in der Familie zu tun. Da kann es auch mal sein, dass Kinder einfach nur um Aufmerksamkeit ringen, indem sie die Eltern angehen oder mit den Geschwistern streiten.” Manche dieser Eltern melden sich von sich aus beim Amt, sagen: Wir kommen mit unserem Jungen nicht mehr klar. Andere, weiß Stroscher, „kommen halbfreiwilig”. Heißt: Lehrer oder Erzieherinnen haben sie aufgefordert, sich beim Jugendamt zu melden – sonst würden sie es übernehmen.

„Wenig Wissen über die alltägliche Versorgung“
Immer häufiger gerate man dabei an junge Mütter, die nicht nur einen „hohen erzieherischen Bedarf” hätten, sondern auch „wenig Wissen über die alltäglichen Grundversorgungen.” Ihre Wohnungen seien verwahrlost. „Dann geht es erstmal darum, zu gucken, wie man hier den richtigen Einstieg findet.” Eine erste Notlösung könne sein, eine Familienhilfe zur Verfügung zu stellen: „Nicht im Sinne von Pädagogik, sondern jemand, der erstmal hilft, dass der Dreck aus der Wohnung kommt.” Im weiteren Schritt werde dann geprüft, welches pädagogische Potenzial bei der Mutter vorhanden sei – und wie man es fördern könne.

„Das Problem ist, dass viele Eltern zu lange brauchen würden, um zu lernen, wie man die Kinder richtig versorgt und ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht”, sagt Stroscher. „Es würde einfach zu lange dauern, bis die Kinder davon profitieren. Denen läuft die Zeit in ihrer Entwicklung davon.” Hinzu komme, dass immer mehr Eltern psychisch angeschlagen seien. „Viele sind gar nicht richtig beziehungsfähig, oder sie sind depressiv. Die brauchen selber Hilfe und Unterstützung. Dann müssen wir überlegen, wie hoch ist der Schweregrad, was ist ambulant überhaupt noch möglich, was muss stationär passieren.”

Die Entscheidung, ein Kind aus einer Familie zu nehmen und in eine stationäre Einrichtung oder Pflegefamilie zu bringen, sei dabei alles andere als leicht. „Das nimmt auch die Kollegen vor Ort mental mit”, sagt der Abteilungsleiter. Tränen bei der Trennung gäbe es fast immer, oft auch Wut und Aggressionen. „Es gibt Eltern, die sagen, ich lasse mir das Kind nicht wegnehmen. Das ist ein Teil das gehört zu mir. Das will ich nicht verlieren.” Und im nächsten Moment würden sie noch nicht mal mehr die Besuchskontakte einhalten.

Auch der Leiter des Jugendamtes in Siegen, Horst Fischer, ist manchmal erschrocken über die geringe emotionale und soziale Beziehung von Eltern zu ihren Kindern. „Neulich hatten wir einen 13-jährigen Jungen, der voll alkoholisiert war. Als wir die Eltern baten, ihn abzuholen, hieß es: Wenn er wieder nüchtern ist, kann er doch alleine kommen.” Andere Eltern seien einfach nicht mehr in der Lage, die Erziehung zu übernehmen. „Ihnen fehlen Dinge, die sie in ihrer eigenen Lebensbiographie schon nicht mehr mitbekommen haben,” sagt er. „Wenn das abgerissen ist, fehlt es in der nächsten Generation völlig. Das hat auch ein Stück mit der Entwicklung der Gesellschaft zu tun.”

Hohe Kosten für die stationäre Unterbringung
Dass immer mehr Familien mit der Erziehung überfordert sind und die Kinder in eine stationäre Einrichtung kommen, schlägt sich in Lünen auch im Haushalt nieder. „Allein 6,6 Millionen Euro kostete die stationäre Unterbringung 2008”, sagt Fachbereichsleiter Ludger Trepper. „Nach fünf Jahren sinkender Zahlen war das ein Anstieg um zwei Millionen Euro.” Durchschnittlich sind 152 Kinder pro Jahr stationär untergebracht, rund 100 Familien in der Lippestadt erhalten ambulante Hilfen zur Erziehung.

Um die hohen Kosten für die stationäre Unterbringung zu sparen, aber auch, um Eltern früher als üblich Unterstützung anzubieten, möchte die Stadt Lünen die Zahl der ambulanten Hilfen künftig noch weiter ausbauen. „Wir wollen die Eltern frühzeitig erreichen und stärken, damit sie nicht in die Versorgungskrise kommen”, sagt Thomas Stroscher. „Emotional und auch erziehungstechnisch.”

Den Vorwurf der Wohlfahrtsverbände, Städte würden gerade in diesem Bereich sparen, weist auch Bodo Weirauch vom Dortmunder Jugendamt zurück. Angesichts der angespannten finanziellen Situation der Kommunen müssten die vorhandenen Mittel zwar „so sparsam wie möglich” eingesetzt werden, sagte er. „Aber ich würde mich sehr stark wehren, wenn jemand sagt, ,die Familien bekommen nicht die nötigen Mittel, weil Ihr sparen wollt‘.”

Quelle: Artikel in Der Westen von Katja Sponholz und Jürgen Potthoff vom 23.08.09

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